1.300 Deutsche aus Příbram im Todesmarsch nach Prag Strahov Stadion getrieben, viele starben, auch der kleine Horst. Bis heute fehlt eine Gedenktafel. Erinnern, vergeben, Versöhnung leben.
Nach meinem letzten Beitrag „Der dunkle Spiegel tschechischer Geschichte“ und „Mit ausgeliehenem Flugzeug in die Hölle“ folgt ein weiteres, bisher weitgehend vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte.
Am Sonntag, dem 6.7.2025 am Heiligenhof, hatten wir die Gelegenheit, Dietmar Schmidt und Sigrid Platzek zuzuhören. Zwei Geschwister, die 1945 als Kinder den Todesmarsch von Příbram nach Prag überlebten. Man kennt den Brünner Todesmarsch, doch kaum jemand weiß von den Deutschen aus Příbram, die 1945 unter ähnlich grausamen Umständen nach Prag getrieben wurden.

„Man spricht viel von Flucht und Vertreibung, aber das war es nicht, es war eine Ausweisung, wir sind rausgeschmissen worden.“
Dietmar Schmidt
Im April 1945 verlegte man die Abteilung ihres Vaters, Chemiker bei den Brünner Waffenwerken, nach Příbram. Die Familie zog mit. Dietmar, damals fünf Jahre alt, erinnert sich an die Nachtfahrt auf einem LKW. Die Schmidts lebten dort in einfachen Verhältnissen, gemeinsam mit vielen, die vor der Front evakuiert worden waren. Am 5. Mai 1945, mit Beginn des Prager Aufstands, begann das, was sich später als Todesmarsch aus Příbram herausstellen sollte.
„Wir waren ungefähr 1.300 Personen. Von Příbram nach Prag sind es etwa 60 Kilometer. Es sind etwa 300 Menschen ums Leben gekommen, totgeprügelt, im Straßengraben gestorben oder durch Selbstmord.“
Dietmar Schmidt

Sigrid Platzek, die Schwester von Dietmar war damals drei Jahre alt. Der Hunger, der Marsch und die schlechte Versorgung hinterließen lebenslange Spuren.
„Ich musste wieder gehen lernen. Ich hatte beide Trommelfelle durch. Bis heute habe ich einen schiefen Rücken davon.“
Sigrid Platzek
Am 13. Mai setzte sich der Marsch in Bewegung. Nur wenige der älteren Kinder oder Mütter mit Kleinkindern durften kurzzeitig auf LKWs mitfahren. Der Weg führte ins Strahov-Stadion, heute bekannt als Trainingsgelände des Fußballklubs Sparta Prag. Damals war es eine improvisierte Internierungsstätte für etwa 9.000 bis 10.000 Deutsche.

„Wir kampierten auf dem Rasen, hatten nur einen Stock mit einer Decke drüber. Unter den Tribünen waren grün gestrichene Räume, da waren wir Kinder manchmal. Es gab Latrinen, einfach Balken über Gruben, SS-Leute hat man dort hineingeschossen.“
Dietmar Schmidt
Ein tragischster Moment für die Familie Schmidt, der kleine Bruder Horst, kaum zwei Jahre alt, verhungerte im Stadion und starb.

„Ich habe meine Mutter später gefragt, was mit ihm passiert ist. Sie sagte, da sind sie mit Karren durchgefahren, haben die Toten draufgeschmissen, und dann waren sie weg. Wir haben nie erfahren, wo dieses Kind hingekommen ist.“
Sigrid Platzek
Ein Massengrab gibt es bis heute nicht offiziell. Dietmar Schmidt versucht seit Jahren, über die Kriegsgräberfürsorge oder andere Archive den Ort herauszufinden. Bisher vergeblich, auch eine Gedenktafel für die Opfer fehlt bis heute am Strahov-Stadion. Vielleicht wäre es an der Zeit dies zu ändern? Auch für den kleinen Horst, der wirklich nichts mit NS-Regime zu tun hatte.
Nach einigen Wochen wurden die Überlebenden auf Arbeitslager verteilt. Die Schmidts kamen nach Kojetice bei Mělník, nördlich von Prag. Dort wurden sie auf einem Gutshof einquartiert, wieder zusammen mit vielen anderen Deutschen.
„Im Winter haben die Eltern einen Ofen organisiert, ein Loch ins Fenster geschlagen fürs Ofenrohr. Wenn nachts die Russen kamen, haben wir unsere Mutter unten im Bett versteckt und uns Kinder drübergelegt, sodass die Russen die Mutter nicht finden konnten.“
Dietmar Schmidt

Die Schilderung verdeutlicht das Ausmaß an Angst, selbst Monate nach Kriegsende, dennoch halfen die Menschen sich gegenseitig. Sigrid Platzek erzählt, wie ihre Mutter in ihre Trainingshose Essen schmuggelte, um die Kinder versorgen zu können. Ein besonders eindrückliches Erlebnis war für beide Geschwister der Moment, als ihr Vater dem Kommandanten eines Lagers entgegentrat, der ihre Mutter für sich forderte.
„Die Eltern mussten ja immer zum Appell antreten und die Soldaten haben sich dann immer die Frauen ausgesucht, die sie haben wollten, unter anderem hat der Kommandant meine Mutter angesprochen, wollte sie. Und mein Vater hat sich dann vor sie gestellt und hat zu ihm gesagt, da müssen sie mich erst erschießen, bevor sie an meine Frau kommen. Hat auch damit gerechnet anscheinend. Jedenfalls hat der Kommandant dann lachen angefangen und hat ihm eine Zigarette gegeben.“
Sigrid Platzek
1946 kam die Familie ins ehemalige jüdische Lager Hagibor in Prag, dort besserte sich die Situation leicht. Der Vater arbeitete bei einer Lebensmittelgroßhandlung, und es gab mehr zu essen.


„Ich erinnere mich, dass ich zum ersten Mal Erdnussbutter gegessen habe. Irgendwie verbinde ich Prag immer noch mit Erdnussbutter.“
Dietmar Schmidt
Am 2. Mai 1946 überschritt die Familie mit einem organisierten Transport bei Wiesau die Grenze nach Bayern. Das was blieb waren Erinnerungen, Krankheiten und ein tiefer Bruch im Leben.
„Dann haben die Leute, die weißen Armbänder als Deutsche tragen mussten, die da aus dem Zug rausgeworfen, sodass die Bäume wie weiße Christbäume ausgesehen haben.“
Dietmar Schmidt
Sein Vater notierte sich diesen Tag in seinem Tagebuch:
„14:30 die Grenze im Angesicht weiße Binden tragender Bäume (Christbäume) überschritten. Endlich heim im Reich! Nach einem Jahr Sorgen und Graulen endlich erlöst.“

In Bayern begann für die Schmidts ein neues Leben. Doch das Erlebte blieb bis heute. Auch die Versöhnung, Dietmar Schmidt betont, wie wichtig ihm die Erklärung der Stadt Brünn von 2015 sei, mit der die Brünner sich bei den Vertriebenen entschuldigten.
„Was ich gesehen habe, war Hass, Völkerhass, Nationalitätenhass. Deshalb habe ich mein Leben lang versucht, dass man sich über Grenzen und Sprachen hinweg besser versteht.“
Dietmar Schmidt
Ein Appell, der gerade heute aktueller denn je scheint.
Deutsch https://www.henryertner.com/todesmarsch-nach-prag-und-die-hoelle-des-strahov-stadions/
English https://medium.com/@henryertner/death-march-to-prague-and-the-hell-of-strahov-stadium-06f53b53d5b7
Česky https://medium.seznam.cz/clanek/henry-ertner-pochod-smrti-do-prahy-a-peklo-stadionu-strahov-169450
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