Prof. Dr. Gustav Pirchan war ein Prager zweisprachiger Historiker, Bürger der Tschechoslowakei, ein Sudetendeutscher Professor der Deutschen Karls-Universität. 1945 starb er im Lager Theresienstadt.
Gustav Pirchan (1881–1945) war kein ideologischer Denker, kein politischer Akteur, sondern ein Archivbeamter, Professor und Brückenbauer zwischen Kulturen. Er sprach besser Tschechisch als so mancher Tscheche, war Bürger der Tschechoslowakei, lehrte an der Deutschen Karls-Universität in Prag und wurde dennoch nach 1945 interniert.
Er starb in Theresienstadt, dem Ort, der für viele seiner jüdischen Kollegen während der NS-Zeit das Ende bedeutete. Pirchans Tod symbolisiert die tragische Umkehrung der Geschichte und den Verlust eines der leisen Mittler zwischen den deutschen und tschechischen Welten.
Ein Kind mit zwei Sprachen
Pirchan wurde 1881 in Wien geboren, verbrachte aber seine Kindheit in Jičín. Dort besuchte er eine tschechische Schule, später Gymnasium in Arnau (Hostinné). Seine Sprachbeherrschung war so vollkommen, dass man ihn für einen gebürtigen Tschechen hielt. Auch im späteren Berufsleben war sein Tschechisch makellos, ein Umstand, der ihm nicht nur in Archiven, sondern auch im akademischen Umfeld Vertrauen von tschechischer Seite einbrachte.
Archivar in einer wechselvollen Republik
Nach weiteren Studienjahren in Prag, Heidelberg und Wien begann Pirchans Karriere 1907 in der Archivverwaltung. Er spezialisierte sich auf das böhmischen Mittelalter, in seinem Hauptwerk beschäftigte er sich mit Geschichte Karls IV. und seiner Zeit.
Prof. Pirchans wissenschaftliche Präzision und zweisprachige Kompetenz machten ihn zu einem der angesehensten Mitarbeiter der staatlichen Archive. Durch den tschechischen Generaldirektor Ladislav Klicman wurde Pirchan unterstützt und gefördert, erhielt 1921 den Titel eines Archivdirektor zweiter Klasse, 1923 erster Klasse und wurde 1927 Obersektionsrat. Pirchan war in den 1920er-Jahren stellvertretender Direktor des Archivs und leitete dieses für den erkrankten Klicman. Ein Deutscher leitete den tschechischen Archiv.
Wissenschaft ohne Machtwille
1933 wurde Pirchan an die Deutsche Karls-Universität in Prag berufen. Er übernahm den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte, blieb jedoch in seiner wissenschaftlichen Haltung ebenso zurückhaltend wie in seiner Person. Kollegen und Schüler schätzten seine Gründlichkeit, seine klare Sprache, seine Neigung zur differenzierten Betrachtung historischer Konflikte.
Pirchan war nie Mitglied der NSDAP. Zwar stellte er im Herbst 1939 einen Aufnahmeantrag, doch wurde dieser im Oktober 1940 abgelehnt, trotz Fürsprache von Orts- und Kreisleitung. Grund war ein jüdischer Urgroßvater seiner Ehefrau Elisabeth.
Auch im Protektorat blieb Pirchan unauffällig. Er hielt Abstand und war keiner der lautstarken Vertreter der „antitschechischen Politik“ wie Pfitzner, Wostry oder Winter. Bergl beurteilte sein Auftreten als ganz klug :
Man sieht ihn nicht und hört nichts von ihm.
1945 und das Ende
Nach dem Kriegsende wurde die Deutsche Karls-Universität aufgelöst. Im Mai 1945 wurde Pirchan, wie viele deutsche Professoren, verhaftet. Bei der Festnahme wurde er brutal misshandelt, landete in Pankrac und wurde später nach Theresienstadt gebracht, das zu einem Konzentrationslager für Deutsche in Böhmen geworden ist. Dort starb er am 22. September 1945 im Alter von 64 Jahren.
Seine tschechischen Kollegen haben Prof. Pirchan überwiegend positiv wahrgenommen. Kazbunda schreibt in seinen Memoiren über Pirchans trauriges Ende:
Das Schicksal, welches diesen gemäßigten Deutschen, einen außergewöhnlich gebildeten Menschen, danach in der Folge des durch Hitler zerstörten Zusammenlebens beider Nationalitäten traf, war extrem unverdient und traf jeden schwer, der ihn näher kannte.
Was bleibt von Gustav Pirchan?
Mit Pirchan starb einer der Professoren der Deutschen Karls-Universität. Eine Institution, die seit 1348 existiert hatte und die 1945 in der politischen Logik der Nachkriegszeit verschwand. Geblieben ist die tschechische Karls-Universität die erst 1882 entstand.
Pirchan, Bürger der Tschechoslowakei, Brückenbauer zwischen zwei Kulturen, fiel nicht wegen seiner Schuld, sondern wegen seiner Herkunft. Heute bleibt sein Werk fast vergessen. Doch wer über Identität, Zugehörigkeit und Erinnerung in Mitteleuropa nachdenkt, sollte sich an ihn erinnern.
Denn Gustav Pirchan stand für ein stilles, nicht institutionalisiertes Mitteleuropa, für ein Mit- statt Gegeneinander, für Zusammenarbeit und das respektvolle Miteinander von Kulturen.
Mögen uns diese Werte den Weg in eine gemeinsame, friedliche Zukunft weisen, über Grenzen und Sprachen hinweg.
Stefan Lehr, „Gustav Pirchan (1881–1945). Ein Prager Historiker zwischen Deutschen und Tschechen“, in: Karel Hruza [Hg.], Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2, Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2012, p. 329–377
Original Er sprach besser Tschechisch als so mancher Tscheche und starb in Theresienstadt
English He spoke better Czech than many Czechs and Died in Theresienstadt
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