Ein vergessener Pionier Willibald Gatter träumte vom Volksauto, doch an Baťa scheiterte der Plan, fast wäre er Porsche zuvorgekommen.

Ich ging ins Sudetendeutsches Museum, um eigentlich mehr über Ferdinand Porsche zu erfahren, seine sudetendeutschen Wurzeln, die frühen Jahre in Böhmen, den Aufstieg zum Konstrukteur. Doch zwischen all den bekannten Namen stieß ich auf eine Geschichte, die mich sofort fesselte, die Geschichte von Willibald Gatter. Ein Name, den ich zuvor noch nie gehört hatte und doch einer, der beinahe die Automobilgeschichte verändert hätte.

Vom begabten Konstrukteur

Willibald Gatter wurde 1896 im nordböhmischen Hühnerwasser geboren. Schon früh arbeitete er als Konstrukteur, unter anderem bei Austro-Daimler an der Seite Ferdinand Porsches. Dort beteiligte er sich an Projekten wie dem „Sascha“ Rennwagen und vierradgetriebenen Lastwagen.

Nach 1918 änderte sich sein Leben radikal, die Tschechoslowakei wurde gegründet, und wie viele Sudetendeutsche erlebte Willibald Gatter eine gezielte Ausgrenzung

Mit Gründung der Tschechoslowakei wurden sudetendeutsche Beamte systematisch aus dem Staatsdienst gedrängt, deutschen Unternehmen, wie dem von Willibald Gatters Vater, wurden staatliche und kommunale Aufträge entzogen. Im März 1919 kam es zu Protestkundgebungen der deutschen Bevölkerung gegen die Zwangseingliederung in den tschechoslowakischen Staat und für ein sudetendeutsches Selbstbestimmungsrecht. Das Militär schlug den Aufstand gewaltsam nieder.

Peer Gatter S.131

Willibald Gatter began in diesen Jahren eigene Ideen zu verfolgen. Seine Vision, ein Auto für die breite Bevölkerung, bezahlbar, robust und einfach zu warten, ein „Volksauto“ sollte es sein, bevor der Begriff zum politischen Schlagwort wurde.

Der „Kleine Gatter“ Volksauto im Sudetenland

Ende der 1920er Jahre stellte er den „Kleinen Gatter“ vor. Technisch schlicht und durchdacht, erreichte er mit geringem Verbrauch und niedrigem Preis Käufer, die zuvor kein Auto besessen hatten. Die Fachpresse war beeindruckt, die Zukunft sah sehr gut aus. Wegen seiner massentauglichkeit wurde das Auto in der Presse als „Fahrrad von morgen“ tituliert.

Baťa erkennt die Chance

1930 trat Tomáš Baťa, der Schuhkönig von Zlín, in Kontakt mit Willibald Gatter. Er hatte innerhalb weniger Jahre vom einfachen Schumacher zum Weltmarktführer in der Schuhproduktion aufgeschlossen und erkannte die Notwendigkeit, sein Unternehmen zu diversifizieren. Baťa investierte in Fahrräder, Flugzeuge, Spielzeug und wollte auch in die Automobilproduktion investieren. Besonders der „Kleine Gatter“ weckte sein Interesse.

Im Oktober 1930 trat der Großindustrielle Tomáš Baťa an Gatter heran und führte Verhandlungen über den Erwerb der zahlreichen Patente und einer Generallizenz zur Produktion des Wagens.

Als Batas Interesse für die Automobilproduktion und insbesondere für den „Kleinen Gatter“ 1930 bekannt geworden war, übergoss die Fachpresse den ganz offensichtlich dem Größenwahn verfallenen tschechischen Schuhkönig mit Hohn und Spott. „O Schuster, bleib bei deinen Leisten“ giftelten etwa die Redakteure der Motor Kritik.

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Der Plan war eine Großserienfertigung in Zlín, dazu Reifen aus eigener Herstellung, aus diesem Reifenzweig entstand später Barum. Die Pläne mit Gatter scheiterten jedoch, bevor es zur Produktion kam.

Streit um den Namen

Die technische und wirtschaftliche Basis schien gesichert, doch an einer Front eskalierte der Konflikt, der Markenname. Baťa wollte den Wagen unter seinem eigenen Namen verkaufen, Gatter bestand darauf, dass er „Gatter“ hieß. Unter diese Namen hatte das Auto ja schon Bekanntheit erlangt und zahlreiche Preise bei europäischen Bergrennen gewonnen.

Entgegen früherer Absprachen, den Wagen „Gatter“ zu nennen, bestand der Fabrikant nun auf der Benennung „Baťa“. Für den Konstrukteur Gatter war dieser Wortbruch nicht hinnehmbar. Im April 1932 kam es zum Bruch.Nur Wochen später verunglückte Baťa tödlich bei einem Flugzeugabsturz. Mit ihm verschwanden auch die Pläne, den „Kleinen Gatter“ in Großserie zu bauen.

Ende eines Traums

Für Gatter war das Aus der Verhandlungen zwar ein Schlag, doch produzierte er den Wagen bis ins Jahr 1936 im eigenen Werk weiter. Aber ohne industriellen Partner, in einer Zeit, in der von tschechoslowakischen Banken als Resultat der Weltwirtschaftkrise nach wie vor keine Kredite vergeben wurden, blieben die Expansionsmöglichkeiten überschaubar. Gegen die großen Hersteller konnte er sich letzlich nicht behaupten. Die wirtschaftlichen und politischen Spannungen verschärften sich Mitte der 1930er Jahre und so musste  seine Fabrik im Jahr 1937 schließen.

Was wäre, wenn?

Man kann sich leicht ausmalen, was passiert wäre, hätten sich Gatter und Baťa geeinigt. Ein erschwingliches Auto aus Zlín, getragen von Batas weltweitem Vertriebsnetz. Der Name „Gatter“ könnte heute so bekannt sein wie „Škoda“ oder „Volkswagen“.

So aber geriet Gatters Name in Vergessenheit, trotz seiner Pionierleistung im Automobilbau: Gatter war ein Mann, der die Idee des „Volkswagens“ träumte und umsetzte, lange bevor Porsche damit als Teil der nationalsozialistischen Volksideologie Geschichte schrieb. Geschichten wie diese gehören zu den verborgenen Schätzen aus Böhmen, Mähren und Schlesien.

Quelle

Peer Gatter: Volkswagenbau an Elbe und Teck. Aus dem Leben des sudetendeutschen Automobilpioniers und Politikers Willibald Gatter (1896–1973), in: Schriftenreihe Stadtarchiv Kirchheim unter Teck, Band 32, Kirchheim unter Teck 2008, S. 127–171

http://gatter-volksauto.de/images/Literatur/Stadtarch_2008.pdf

Deutsch https://www.henryertner.com/bata-und-gatter-wie-der-schuhkoenig-fast-den-volkswagen-vor-porsche-baute/

English https://medium.com/@henryertner/ba%C5%A5a-and-gatter-how-the-shoe-king-almost-built-the-volkswagen-before-porsche-ba035d05f980

Česky https://medium.seznam.cz/clanek/henry-ertner-bata-a-gatter-jak-se-z-krale-bot-malem-stal-tvurce-volkswagen-jeste-pred-porschem-180209


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