Brünner Todesmarsch 1945 und 2025 ein Marsch der Vergebung. 27.000 Brünner vertrieben, 22.000 überlebten. Erinnern, Brücken bauen, vergeben auch an Hitler, Beneš, Heydrich, Pokorny und an sich selbst.

Am 31.5.2025 bin ich 30 Kilometer von Pohořelice nach Brünn gelaufen. Nicht allein, sondern in Gemeinschaft, im Rahmen der Veranstaltung Meeting Brno. Es war anstrengend, die Sonne brannte, der Schweiß lief, die Muskeln brannten, und selbst heute noch schmerzt mein Körper, aber ich bin dankbar und glücklich, dass ich diesen Weg mitgegangen bin, diesen Weg des Erinnerns, diesen Weg des Vergebens. Denn am 31. Mai 2025, jährt sich ein unvorstellbares Ereignis zum 80. Mal, der sogenannte Brünner Todesmarsch.

Am 31. Mai 1945, nur wenige Wochen nach Kriegsende, wurden rund 27.000 deutschsprachige Bewohnerinnen und Bewohner Brünns aus ihren Häusern vertrieben. Frauen, Kinder, alte Menschen, die meisten von ihnen keine Täter, sondern einfache Zivilisten.

Sie mussten zu Fuß losziehen, Richtung Süden, Richtung österreichische Grenze, ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne medizinische Versorgung. Viele, sehr viele starben unterwegs.

Nicht ganz 22.000 Menschen überlebten diesen Marsch, viele von ihnen schwer gezeichnet an Körper und Seele. Als sie schließlich die österreichische Grenze erreichten, blieben sie stehen. Die österreichischen Behörden ließen sie nicht passieren. Es war, als hätte niemand Platz für diese Menschen, die zum Spielball der Geschichte geworden waren.

Die Dimension dieses Hasses ist kaum zu begreifen.

Am 31.5.2025 auf dem Marsch, hatten wir Wasser, Verpflegung, sogar eine Polizeiliche Begleitung. Wir wussten, dass am Ziel freundliche Menschen warteten, dass es eine sichere Ankunft geben wird.

Trotzdem war es hart. 30 Kilometer sind 30 Kilometer und wenn ich an das Schicksal dieser Menschen vor 80 Jahren denke, wird mir klar, wie gnadenlos ihre Situation war. Wie unbarmherzig Geschichte sein kann, wenn Menschen den Hass größer werden lassen als das Mitgefühl.

Während des Marsches war mein Mantra zweisprachig:

Odpouštím – ich vergebe.

Ich habe es wiederholt, Schritt für Schritt, wie ein stilles Gebet. Ich vergebe allen. Ich vergebe Hitler, ich vergebe Stalin, ich vergebe Beneš, ich vergebe Bedřich Pokorný, ich vergebe Karl Hermann Frank, ich vergebe Konrad Henlein, ich vergebe Reinhard Heydrich.

Ich vergebe allen, die an dieser Gewaltspirale beteiligt waren, ob als Täter, als Mitläufer, als Ideologen, als Befehlshaber und ich vergebe mir selbst. Für die Wut, für das Unverständnis, für das Schweigen, das auch in meiner eigenen Familiengeschichte existiert.

Vergeben bedeutet nicht vergessen. Vergeben heißt nicht, Schuld ungeschehen zu machen. Vergeben bedeutet, die Ketten des Hasses zu sprengen, die uns sonst weiter aneinanderfesseln.

Vergeben bedeutet, die Vergangenheit anzuerkennen und doch den Blick nach vorn zu richten. Brücken bauen, nicht Mauern errichten. Es fällt mir nicht leicht, diesen Text zu schreiben.

Der Schmerz ist real, im Körper, in der Seele. Aber ich spüre auch Dankbarkeit dafür, dass ich mitgehen durfte. Dafür, dass es Menschen auf beiden Seiten gibt, die bereit sind, zu vergeben. Und dafür, dass ich meinen eigenen Weg der Vergebung gehen darf, Schritt für Schritt, in zwei Sprachen, mit offenem Herzen.

Der Marsch ist ein Mahnmal für das, was geschieht, wenn Hass stärker wird als Menschlichkeit. Er ist ein Kapitel, das oft vergessen wird, in Tschechien, in Österreich, in Deutschland. Aber wir dürfen nicht vergessen. Nicht um Schuld zuzuweisen, sondern um zu verstehen und um aus dieser Geschichte zu lernen.

Am 31.5.2025 sind wir in Vergebung gegangen. Ich vergebe allen und ich hoffe, dass auch mir vergeben wird.

Original https://www.henryertner.com/1945-ein-todesmarsch-und-2025-ein-marsch-der-vergebung/

English https://medium.com/@henryertner/1945-a-death-march-and-2025-a-march-of-forgiveness-9010efd07141

Česky https://medium.seznam.cz/clanek/henry-ertner-1945-pochod-smrti-a-2025-pochod-odpusteni-154368


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